09.08.2021 - Reutlinger General-Anzeiger
Benefiz – Umjubelter Gala-Abend des Naturtheaters Reutlingen zugunsten eines neuen Betriebsgebäudes
Spielfreude nach Zwangspause
VON ANNE LEIPOLD
REUTLINGEN. Wussten Sie, dass Schwaben alles kommentieren müssen? Oder, dass die 3 G für "Gekrönt, geadelt und gewichtig" stehen? Nun, die Benefizgala, zu der das Naturtheater an drei Abenden zugunsten des neuen Betriebsgebäudes eingeladen hat, war eben nicht nur wunderbar amüsant durch das Ensemble gestaltet, sondern am ersten Abend dank der eingeladenen regionalen Künstler auch lehrreich. Immerhin hätte das Publikum sogar fast einen Zaubertrick gelernt.
Besonders Dominik Kuhn, auch als Dodokay bekannt, traf mit seiner Hommage ans Schwäbische ins Schwarze: "Schwäbisch ist nicht geeignet, um Dinge von Weltbedeutung zu sagen." Mit einem Taschentuch wischt sich die Zuschauerin zwei Sitze weiter die Lachtränen aus den Augenwinkeln. Dafür ist der Dialekt einzigartig: "Schwäbisch ist die einzige Sprache, in der man Holz zusammensägen kann." Nach 40 Jahren sei sie das erste Mal wieder im Naturtheater gewesen, erzählte die Frau später. Einen besseren Abend hätte sie sich dafür kaum aussuchen können.
Liebesszenen mit Abstand?
Dabei hatte Moderator Sascha Diener gut zu tun, nach der mehr als ein Jahr dauernden Zwangspause die Spielfreude der Darsteller im Zaum zu halten. Die wollten nämlich unbedingt, dass die Kirche im Dorf bleibt. Er musste sie – unter Protest – gleich mehrmals von der Bühne komplementieren und aufs nächste Jahr vertrösten. Wie bitte sollen denn auch Liebesszenen oder gar Schlägereien bei anderthalb Metern Abstand funktionieren? Ja, wie wäre Phileas Fox denn in 80 Tagen um die Welt gereist, wären die Corona-Verordnungen in Kraft gewesen? Wie hätte die ungeimpfte Cinderella auf den Ball kommen können? Wie, bitte, sollen sich Liebende im Sommernachtstraum näherkommen, wenn die Herzensdame selbst auf der Lichtung auf eine Armeslänge Abstand pocht?
Mit einer ein- und erstmaligen Modenschau reisten die Darsteller zudem zurück bis in die Anfänge der 1990er-Jahre: "Die drei Musketiere", "Kiss me, Kate", "Dschungelbuch", "Ein Käfig voller Narren". Wichtige Tipps gab’s obendrauf: Zwar könne man in den prachtvollen Ballkleidern nicht essen, sitzen und schwitzen, plauderte Carina Armbruster aus dem Nähkästchen, "aber mit dem richtigen Büstenhalter passt jedes Kleid".
Das bewies Sascha Diener prompt nach der Pause mit einem hinreißenden Auftritt als Zaza aus "Ein Käfig voller Narren", der das Publikum zum Jubeln brachte. Das hätte gut und gerne die Schlussnummer sein können – doch der Abend hatte noch weitaus mehr zu bieten.
Zauberkünstlerin Jaana Felicitas fesselte die rund 300 Zuschauer bei dramatischer Musik und geschmeidigem Tanz mit ihrem Spiel mit Wasser und Eis.
Mit humorigen Geschichten untermalte ihr Kollege Nikolai Striebel seine Fingerfertigkeit mit seinen Zauberkarten. Seinem gespannten Publikum versprach er, ihm für die nächste Party einen Trick beizubringen, nur um es am Ende verblüfft zurückzulassen.
Grußwort von OB Keck
Sascha Diener wiederum stellte seine Wandlungsfähigkeit zum Schluss erneut unter Beweis als Oberkellner Leopold, denn erst mit dem Medley "Im Weißen Rössl" war der Abend komplett. Seinem Witz und Charme war es denn auch zu verdanken, dass er ganz schamlos Werbung für die Bausteinaktion des Naturtheaters machen konnte: "Wenn heute jeder für 5 000 Euro einen Baustein kauft, brauchen wir keinen weiteren Benefizabend", tat er sein Möglichstes, das Publikum um den Finger zu wickeln: "Sie können aber auch zwei für je 2 500 Euro nehmen." Der Neubau ist dringlich, wie Diener an dem Abend immer wieder einfließen ließ. "Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft des Naturtheaters im Wasenwald", hatte Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck schon zuvor in seinem Grußwort erklärt. Rund eine Million Euro muss das Naturtheater aufbringen, um den Eigenanteil am Neubau des Betriebsgebäudes zu finanzieren, das insgesamt sechs Millionen Euro kosten wird.
Mehr als 90 000 Euro hat das Naturtheater seit 2019 erhalten. 300 000 Euro Spendeneinnahmen sind das Ziel, das Rainer Kurze, Vorsitzender des Naturtheaters, gesetzt hat. Einen Teil haben auch die Künstler dazu beigetragen, da sie trotz eigener Einbußen aufgrund von Corona auf ihre Gage zugunsten des Bauprojekts verzichten. (GEA)