22.05.2018 - Reutlinger General-Anzeiger
LEUTE - 30 Jahre ist Sascha Diener schon dabei und seit März nun Zweiter Vorsitzender des Reutlinger Naturtheaters
Superman in seiner Traum-Rolle
VON ISABELLE WURSTER
Stünde das "S" nicht für den Comic-Helden, Sascha Diener hätte da auch eine andere Interpretation parat. Das Superman-S würde in der Tat auch ihm gebühren. Stets trägt er es in irgendeiner Form bei sich, sei es auf dem Geldbeutel aufgedruckt oder ein kleiner silberner Ohrring.
"Na Du, Du klingst nicht so glücklich. Du brauchst gerade bestimmt Superkräfte!" Wenn Sascha Diener einen Anruf beantwortet, ist herauszuhören: Er ist nicht nur Koordinator, Autor, Schauspieler, Regisseur und fester Bestandteil des Naturtheaters Reutlingen – vor allem lebt er den "liebevollen und familiären Umgang", den er dort nach eigenem Bekunden seit 30 Jahren im alltäglichen Geschehen erfährt. "Das Naturtheater ist mein Mann, meine Heimat und meine Familie". Lächelnd zündet sich das Multitalent eine Zigarette an.
Um den offenen Umkleide- und Aufenthaltsraum herum zwitschern die Vögel, und die Rückseite der Bühnenkulisse wächst in den Himmel. Sascha Diener sitzt zwischen den Requisiten an der frischen Luft und man könnte meinen, es sei sein Wohnzimmer. Einen Kaffee in der Hand erzählt der aus etlichen Stücken bekannte Darsteller – aus drei Jahrzehnten "Theater, Theater, Theater".
"Die alltäglichsten Dinge mutieren zur Zeitverschwendung"
Schon als er in der Orschel-Hagener Theater-AG teilnahm, seien die Leute auf ihn aufmerksam geworden, die Eltern hätten schließlich den heutigen Vorsitzenden Rainer Kurze – damals Jugendwart der Freilichtbühne – eingeladen, sich ihren Sohn einmal anzuschauen. Kurz darauf landete er mit seinen Jonglierbällen hier auf der Naturtheater-Bühne und dachte: "Was? Hier soll ich mal spielen?" Das war im Jahr 1989. Da war er elf.
"Als ich es beim ersten Vorsprechen wagte, einen Jugendlichen zu korrigieren und Spitz (den Hund der Witwe Bolte aus ›Max und Moritz‹) darstellte, bekam ich gleich die Rolle". Sehr untypisch für ein Naturtheater mit vielen motivierten Darstellern, verkörperte er als Einsteiger schnell wichtige Figuren, bald schon steckte er in Hauptrollen – auch im Erwachsenentheater. Der 40-Jährige ist inzwischen so gefragt und mit Freude aktiv, "dass die alltäglichsten Dinge zur Zeitverschwendung mutieren", sagt er.
Auf dem Bild nicht leicht zur erkennen, aber: Sascha Diener trägt immer etwas bei sich, das mit dem Comic-Helden "Superman" zu tun hat. Hier ist es sein Ohrring. Vorbild ist Vorbild: aber S kann ja auch für Sascha stehen. Seit 30 Jahren ist er im Naturtheater aktiv, erfreut das Publikum jedes Jahr von Neuem mit seinem Schauspiel- und Schreibtalent. FOTO: WURSTER
"Jugendleiter war ich ab 1997", sagt Diener. Veränderungen, neue Events und Workshops brachte er mit in den Betrieb. Drei Jahre lang engagierte er sich anschließend als künstlerischer Organisationsleiter. Sein Wirken begrenzte sich dann nicht mehr nur auf Reutlingen. Im Zentralverband deutscher Freilichtbühnen (VDF) trainierte er Jugendwarte, organisierte Jugendtreffs und -camps. "Diese gehören heute zum festen Inventar des Verbands", sagt er augenzwinkernd. Bevor er diesen März Zweiter Vorsitzender des Naturtheaters wurde, war er fünf Jahre lang Referent des selbigen.
"Der Text kam mir bei einer Flasche roten Weines"
Der raffinierte Kreative hat im Laufe seiner Passion etliche Musicals und Theaterstücke geschrieben, ist seit 2006 für die Mitternachts-Specials zuständig. Dass der mehr als eine halbe Millionen Mal angeklickte Kartoffelsalat-Youtube-Hit aus seinem "Gemüsical – Ein Ufo wurde ferngesehen" stammt, weiß kaum jemand. Den Ruhm heimsten Unbekannte ein. Aber das störe ihn nicht sonderlich.
"Der Text kam mir hier im Theater bei einer Flasche roten Weines", erinnert er sich. "Ich versandte die kurzerhand entstandene Audioaufnahme per Whatsapp an ein paar Freunde. Wenig später ging das Lied viral". Ständig entwickelt er weiterhin Neues und Beliebtes, schreibt auch Kurzgeschichten. "Auch privat habe ich zu Aufträgen jeglicher Art – beispielsweise einer Hochzeits-Moderation oder einer gesanglichen Einlage – bisher niemals Nein gesagt."
Zugute kamen ihm in vielerlei Hinsicht stets die Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Theaterleiter. Hauptberuflich führt Sascha Diener nämlich zwei Kinohäuser in Stuttgart. "Während meiner Theaterpädagogik-Ausbildung jobbte ich dort als Popcorn-Verkäufer". Heute hat er 70 Mitarbeiter, für die er der "Leader" sein darf. Nichtsdestotrotz fülle er aber gerne mal Tüten mit explodiertem Mais, wenn Not am Mann herrscht.
"Der Mikrokosmos Stuttgart erlaubt mir, mich auch hier in Reutlingen weiterhin auszutoben". Das Schauspielern aufzugeben, wäre undenkbar für ihn. Drei- bis viermal in der Woche findet man den seit rund 20 Jahren in der Landeshauptstadt lebenden Künstler im Wasenwald zwischen Kostümen, Flyerdruck und Koordinations-Stricken wieder.
"Elementar voranbringen" möchte Sascha Diener sein Naturtheater, bauliche und finanzielle Herausforderungen gilt es in naher Zukunft zu meistern. "Mein Ziel ist es, auf sicheren Beinen basierende Professionalität zu halten." Er weiß aber auch: Seine Stärken liegen nicht in der Politik, vielmehr im Miteinander und im schriftstellerischen und Schauspieler-Dasein. "Nur weil ich jetzt zweiter Vorsitzender bin, werde ich auf keinen Fall zum Bürosesselpupser". Auch wenn er jedes Mal, wenn er wieder auf der Bühne steht, sich frage "Warum tu ich mir das eigentlich an?". Denn was das Lampenfieber betrifft, da sei er »wirklich krank".
"Ich möchte berühren und zum Nachdenken anregen"
Mit dem Musical "La Cage aux Folles" von Jean Poiret, das am 16. Juni Premiere im Wasenwald feiert, ist für ihn ein Traum wahr geworden. "Bald 10 Jahre habe ich auf dieses Stück gehofft". Die Rolle des Transvestiten Albin alias Zaza bedeute ihm überaus viel. Nicht, dass er mal schicke Roben und High Heels tragen kann, ist für ihn herausragend. "Vor allem werde ich ›I am what I am‹ singen", sagt er. Das ist eine Wucht. Protagonist Albin ist ein schwuler Mann mit weiblichen Zügen – dieser lernt im Laufe der bekannten Story, zu sich zu stehen. "Und das möchte ich dem Publikum zeigen. Ich möchte berühren und zum Nachdenken anregen." Die Akzeptanz gegenüber Menschen mit anderen sexuellen Neigungen sei schon gewachsen, aber da müsse man dran bleiben, so Diener. "Auf die Selbstliebe kommt es doch an. Dann bist du zu allem fähig", sagt er. Eben so wie Superman – oder auch ein Sascha Diener. (GEA)