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18.06.2018 - Reutlinger General-Anzeiger

Musical – "La Cage aux Folles - Ein Käfig voller Narren" wirbt im Reutlinger Naturtheater charmant für Toleranz


Sehnsucht und Glamour

VON CHRISTOPH B. STRÖHLE


Schwer zu sagen, wer in der Rolle der Cagelles, also der Nachtclub-Tänzerinnen im Cage aux Folles, eine bessere Figur machte, die Männer oder die Frauen – jeweils in Frauenkleidern. Tanz- und sangesstark zeigte sich das komplette Ensemble. Nur bei wenigen Schritten ließ sich erahnen, dass es ein "riesiges Stück Arbeit war, den männlichen Cagelles die Tanzchoreografien auf Stöckelschuhen beizubringen", wie Carmen Lamparter, die für diesen Bereich Zuständige, vorab gesagt hatte.

 

Mit stehenden Ovationen – und das gleich mehrfach – feiert das Publikum die Darsteller und rührigen Macher hinter den Kulissen des Reutlinger Naturtheaters, das bei der Premiere von "La Cage aux Folles – Ein Käfig voller Narren" am Samstagabend wirklich Eindruck machte. Oberbürgermeisterin Barbara Bosch hatte die Wasenwald-Festspiele 2018 zuvor an der Seite des Naturtheatervereinsvorsitzenden Rainer Kurze und Fräulein Wommy Wonder (alias Michael Panzer) eröffnet.

 

Kurze hatte betont, dass das Naturtheater mit über 1,9 Millionen Besuchern in 90 Jahren sich heute zu 85 Prozent selbst finanziert. Wonder hatte die Frage aufgeworfen, ob das ausgewählte Stück nicht zu frivol für Reutlingen, für den "prüden Süden" sei – und gleichzeitig die Devise ausgegeben, dass bei den Aufführungen nicht gekleckert, sondern geklotzt werden solle.

 

Auf Anregung des Travestiekünstlers hatte das Publikum zudem aufmunternden Applaus gegen das Lampenfieber hinter die Bühne geschickt.

 

Der Haussegen hängt schief

Wenn sie doch nur drinnen blieben!, hatte Bosch als Stoßseufzer im Hinblick auf den Käfig voller Narren eines zunehmend populistisch geprägten Europa und der Welt hören lassen. Dass "die Botschaft der Toleranz in Reutlingen ihre Bühne hat" – in diesem Fall des Naturtheaters – fand sie "absolut richtig" und war sich darin mit Rainer Kurze, Fräulein Wommy Wonder und dem Publikum einig.

Ulrich Heck (Georges, links) und Sascha Diener (Albin) in den Hauptrollen.
FOTO: NIETHAMMER

Ulrich Heck (Georges, links) und Sascha Diener (Albin) in den Hauptrollen.
FOTO: NIETHAMMER

Die Zuschauer jubelten besonders Hauptdarsteller Sascha Diener nach dessen fulminant vorgetragenem "I Am What I Am" ("Ich bin, was ich bin") zu, dem bekanntesten Lied aus Jerry Hermans 1983 am New Yorker Broadway uraufgeführten Musical "La Cage aux Folles".

 

Als Abschlussnummer des ersten Aktes und weitere Male am Ende war das Lied auf Deutsch und auf Englisch zu hören, gestaltet zwischen Verbitterung, Wut und Stolz. Es handelt davon, dass man nur wirklich lebt, wenn man zu sich selbst steht, und dass das akzeptiert werden sollte. Es ist eines von mehreren symbolträchtigen Liedern der Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender.

 

Albin (Sascha Diener) und Georges (Ulrich Heck) sind seit zwanzig Jahren privat und beruflich ein eingespieltes Paar. Albin ist als Zaza der faszinierende Star der Show in Georges’ Nachtclub, dem legendären La Cage aux Folles. Als Georges’ Sohn Jean Michel (Stefan Reis) ankündigt, heiraten zu wollen, und noch dazu die Tochter eines schwulenhassenden, konservativen Politikers, hängt plötzlich der Haussegen schief, denn statt der "Ziehmutter" Albin soll die leibliche Mutter, die üblicherweise Jean Michels Geburtstag vergisst, vorgezeigt werden. Albin fühlt sich zurückgesetzt, auch wenn Georges alles unternimmt, ihn seine Liebe spüren zu lassen. Herrlich die Szene, in der Albin, der sich am liebsten in Frauenkleidern bewegt, übt, männlich wie John Wayne zu sprechen und zu gehen, um zumindest als Onkel dem Kennlernabend mit den Schwiegereltern in spe beiwohnen zu können. Hier beweisen Diener und Heck grandios ihr komisches Talent.

 

Hochkomisch und berührend

Nachdem Jean Michels leibliche Mutter die Gesellschaft versetzt, springt Albin kurz entschlossen – in Frauenkleidern – ein. Ein turbulenter Abend nimmt seinen Lauf, in dem Liebende zueinanderfinden und ein Ehepaar mit eng gefassten Moralvorstellungen (Ingo Raiser in der Rolle des Politikers, Angelica Kuhr in der seiner Frau) das Undenkbare tut, um nicht ins Visier der Regenbogenpresse zu geraten.

 

All das ist große Revue mit Tanz und Travestie, bietet jede Menge hochkomische und berührende Momente, die Regisseurin Susanne Heydenreich und ihr durch vielerlei Einzelleistungen überzeugendes Ensemble in eine absolut sehenswerte Balance bringen. Sascha Diener legt Albin nur so "tuntig" an, wie es die Rolle verlangt. Die Stärke seines Spiels aber sind gerade die ernsten, zurückgenommenen Szenen, in denen Empfindungen nicht nur komödiantisch behauptet, sondern auch tatsächlich spürbar werden. Ulrich Hecks sensibles Spiel steht dem in nichts nach.

 

Als musikalischer Leiter hat Oliver Krämer eingehend mit dem Ensemble und den Solisten gearbeitet, was sich in beeindruckend gesungenen Liedern niederschlägt. Maja Rumswinkels Bühnenbild und Sibylle Schulzes Kostüme (erstellt im Team) versetzen in eine Welt voller Sehnsucht und Glamour. Diese Aufführung sollte man sich nicht entgehen lassen! (GEA)




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