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19.06.2018 - Reutlinger Nachrichten

Ich bin, was ich bin

VON KATHRIN KIPP


Mit viel Glitzer, Glanz und Glamour öffnete jetzt das Naturtheater seinen "Käfig voller Narren, mit der Premiere der Gender-Burleske "La Cage aux Folles".

Ein Stück mit einer klaren Botschaft zur Toleranz: Im Naturtheater Reutlingen wird in diesem Jahr

Ein Stück mit einer klaren Botschaft zur Toleranz: Im Naturtheater Reutlingen wird in diesem Jahr "La Cage aux Folles" aufgeführt. Eine Genderkomödie, deren Aussagen nach wie vor aktuell sind. Foto: Kathrin Kipp

Wenn es Nacht wird im Wasenwald trifft dort nicht nur Hase auf Igel, sondern derzeit auch eine durchgeknallte Transvestiten-Clique auf einen stinkstiefeligen Sittenwächter. Heraus kommt ein kleiner Reutlinger Urknall aus Musik, Tanz und Gesang, eine furiose Musical-Sause mit brillanten Bildern, mächtig Glitzer-Fummel, prächtiger Stimmung und viel Gefühl. Das Naturtheater übertrifft sich mit seiner Revue unter der Regie von Susanne Heydenreich und der musikalischen Leitung von Oliver Krämer mal wieder selbst.

 

Das Boulevard-Theaterstück "La Cage aux Folles" stammt aus den Siebzigern, das Musical dazu aus den Achtzigern, als Homosexuelle erst allmählich in den Fokus künstlerischen Mainstream-Schaffens gerieten und auch außerhalb der Bühnenwelt noch heftig um Legalität, Anerkennung und Toleranz kämpfen mussten. Und weil heute reaktionäre Kräfte den Diskurs wieder mitbestimmen wollen, gratulierten bei der Premiere Fräulein Wommy Wonder sowie OB Barbara Bosch dem Naturtheater zur Auswahl dieses Stücks "mit der klaren Botschaft: Toleranz". In Zeiten, wo die Weltpolitik mit Trump, Kim Jong Un und Seehofer dem Theater alle Konkurrenz mache, so Bosch: "Ein Käfig voller Narren! Wenn sie doch nur alle drinbleiben würden".

 

Heikle Gratwanderung

Auf der Bühne ist so eine Gender-Komödie immer eine heikle Gratwanderung, damit bei allem Unterhaltungszwang das Tuntige nicht allzu albern übertrieben wird. Und so entscheidet sich das Naturtheater für eine gelungene Mischung aus Comedy, Slapstick und Kitsch, aber auch echten Gefühlen und immer noch aktuellen Wahrheiten.

 

Jeden Abend kann man in Georges' Narrenkäfig (Bühne: Maja Rumswinkel) die Drag Queens tanzen und singen sehen, und auch das Naturtheater hat eine muntere Tanztruppe zusammengestellt, bei der zu schmissiger Musik, zu Tango und CanCan Röcke und Beine fliegen (Choreo: Carmen Lamparter). Die Tänzerinnen stecken in offenherzigen Corsagen, in Lack und Leder und schwingen Federn und Boas (Kostüme: Sibylle Schulze). Chantal (Ruben Dietze) singt wie eine Nachtigall, Hanna (Pascal Muckenfuß) lässt die Peitsche knallen und Phädra (Hartmut Pohnke) ist die geheimnisvolle Sphinx aus dem antiken Ägypten. Georges (Ulrich Heck) als Besitzer des Nachtclubs ist der gesetzte, etwas spießige Mann des aufgedrehten, aber auch gutherzigen Albin (Sascha Diener), der als Drag-Queen Zaza pompöse Gesangs- und Tanzsolos hinlegt, in immer neuen Erscheinungen und Gemütsverfassungen: eine Diva mit Hang zur Melodramatik, die mit ihrem Romantiker Georges ein herzallerliebst samtiges Duett in den Vollmond-Himmel säuselt. Georges ist für die Bodenständigkeit zuständig, Albin für das Exzentrische. Und natürlich zutiefst gekränkt, als man ihn vom Familientreff ausladen will, bei dem Georges' Sohn Jean Michel (Stefan Reis) "seine Eltern" denen seiner Verlobten Anne (Mara Jährig) vorstellen will. Annes Vater ist Politiker der reaktionären "Partei für Tradition, Familie und Moral" und homophob im Endstadium, weshalb ihm Jean Michel eine gesittet-spießige Herkunft vorgaukeln will mit anständigen Eltern, die gängigen Geschlechtern angehören.

 

Und so geht's im Stück um Identität, Selbstverleugnung, Vortäuschung, Verwandlung und Selbstfindung. Und um Selbstbehauptung gegen alle Widerstände aus der Gesellschaft. Ein boulevardeskes Plädoyer für Lebenskunst, Toleranz und Offenheit. Georges, der in einer echten Zwickmühle zwischen Lebenspartner und Sohn steckt, versucht in einer burlesken Szene noch verzweifelt, seinem Albin echtes Mannsein beizubringen.

 

Standing Ovations

Sascha Diener wiederum zieht als Albin die Zuschauer mit seiner schauspielerischen Kunst tief hinein in seine Gefühlswelt und singt auch die Selbstbehauptungshymne "Ich bin, was ich bin" in allen emotionalen Varianten von beleidigt bis trotzig bis stolz. Jean Michel muss im Stück seine Lektion erst noch lernen: dass man im Leben nicht gerade diejenigen, die es gut mit einem meinen, vergraulen sollte. Ingo Raisers reaktionärer Edouard Dindon ist ein waschechter Stinkstiefel, während seine Frau Maire recht schnell Gefallen an der schwungvollen Amüsierbranche findet. Am Ende gibt es vom enthusiastischen Publikum Standing Ovations, und sogar Oberbürgermeisterin Bosch lässt sich zum Mittanzen auf die Bühne ziehen.




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