11.07.2018 - Reutlinger General-Anzeiger
Naturtheater – Beide Betriebsgebäude sind abbruchreif. Stadt soll bei Planungskosten für Neubauten in Vorleistung gehen
Die Balken biegen sich – altershalber
VON HANS JÖRG CONZELMANN
Eine Abrissbirne wird nicht nötig sein, um den Probenraum und die Kleiderkammer platt zu machen – da reicht eine kräftige Planierraupe. Die 70 Jahre alte Bretterbude hinter den Kulissen ist ebenso hinfällig wie das zweite Betriebsgebäude des Naturtheaters wenige Meter entfernt, Außenstehenden noch als "Waldesslust" bekannt.
Beide Gebäude sollen durch neue ersetzt werden. Ein Millionen-Projekt für den Verein, der ohne die Unterstützung der öffentlichen Hand aufgeschmissen wäre. Bei einer Vor-Ort-Besichtigung schlug Oberbürgermeisterin Barbara Bosch vor, die Stadt könnte in Vorleistung gehen und 400 000 Euro Planungskosten übernehmen. Wenn auch der Landkreis mitspielt: Je ein Drittel der Baukosten müssten Stadt, Land und Kreis übernehmen. Bei Gesamtkosten in Höhe von sechs bis acht Millionen Euro und Eigenmitteln des Vereins von einer Million wären das jeweils noch zwei Millionen Euro, die zu berappen sind.
"Gastronomie ist nur möglich, wenn ein Investor gefunden wird"
"Hier meuchelt’s", bemerkte Bosch hinter den Kulissen. Es meuchelt zum Beispiel in der Schneiderei, die wie alles hier 70 Jahre alt ist. Die morschen Balken biegen sich – nicht weil am Theater so viel gelogen wird, sondern altershalber. Die Wände sind feucht, das Dach ist undicht, das Fundament bröckelt – ein existenzgefährdender Zustand, findet Barbara Bosch. Ein feuchter Keller ist auch der Todesstoß für das zweite Betriebsgebäude, das als Gastronomiebetrieb vermietet war. Experten sagen: weg damit.
Dass es meuchelt, konnten auch sämtliche Fraktionen des Gemeinderats hinter den Kulissen riechen – bei Ortsbesichtigungen gab es regelmäßig betretene Mienen. Deshalb dürfte der Vorstoß von Barbara Bosch, die Planungskosten in Höhe von 400 000 Euro zu übernehmen, Formsache sein. Noch vor der Sommerpause soll der Gemeinderat entscheiden. Im Gegenzug muss der Verein ein verbindliches Raumprogramm und einen Finanzierungsplan vorlegen, damit es im kommenden Jahr losgehen kann.
Dass der 300 Mitglieder starke Verein selbst mit den Ausgaben überfordert wäre, zeigt ein Blick in die Bücher. Die Zuschauerhalle, 2008 eingeweiht, steckt den Theaterleuten finanziell noch in den Knochen, jährlich bezahlen sie bis 2027 rund 50 000 Euro Zins und Tilgung. Deshalb suchen sie nach anderen Wegen: Ab der aktuellen Spielzeit soll eine Baustein-Spendenaktion Geld für die anstehenden Projekte bringen. Zudem ist eine Art "Neubau-Groschen" geplant: Ab 2019 in Form eines Zuschlags auf die Eintrittskarte.
Theaterbesucher können trotzdem aufatmen: Das Naturtheater spielt während der Bauarbeiten ohne Unterbrechung weiter. Wenn hinten die Bagger wüten, soll vorne der Spielbetrieb aufrechterhalten werden, beteuert der Vorstand. Vorsitzender Rainer Kurze hat schon mal einen Fünfjahresplan erstellt, der die Rochaden von Probenraum, Büros und anderen Bereichen festlegt. 2019 wird Betriebsgebäude 1 abgerissen, zwei Jahre später Betriebsgebäude 2. Bis alle Räume ausgebaut sind, wandern die Schauspieler von einem Haus ins andere.
Das lauschige Fleckchen Erde im Wasenwald hat der Verein von der Stadt in Erbpacht erhalten und bisher weitgehend alleine genutzt. Das soll sich ändern. Der Proben- und Veranstaltungsraum im Neubau mit rund 150 Plätzen soll auch für andere Kulturschaffende nutzbar sein. So hat die Laienspielgruppe D’Moospritzer bereits Bedarf angemeldet und auf einen städtischen Zuschuss von 25 000 Euro für eigene Räume verzichtet. Interessiert ist auch der Landesverband Amateurtheater: Er sucht geeignete Schulungsräume.
Wer sich an die "Waldesslust" erinnert und in den Plänen einen Gastronomiebetrieb sucht, sucht vergebens. In beiden Neubauten ist offenbar kein Platz dafür. Begründung: Gastronomie sei kein Vereinszweck des Naturtheaters. Die "Waldesslust"-Betreiber hatten das Haus lediglich vom Naturtheater gemietet. Und dennoch können Ausflügler hoffen: Ein Gastronomiebetrieb müsse in einem "separaten" Gebäude, also einem dritten Neubau untergebracht werden. Eine Realisierung sei aber nur dann möglich, wenn dafür ein Investor gefunden werde. Man sieht: Ein Wirtshaus steht nicht ganz vorne auf der Agenda des Vereins. (GEA)