19.06.2017 - Reutlinger Nachrichten
Zerrissene Herzen, scharfe Degen und böse Intrigen
Wasenwald-Festspiele - Das Naturtheater Reutlingen feiert auf der Freilichtbühne die Premiere von "Die drei Musketiere" nach Alexandre Dumas
JÜRGEN SPIESS
Einer für alle, alle für einen: In einer knapp dreistündigen Aufführung feierten am Samstag "Die drei Musketiere" nach dem Roman von Alexandre Dumas im Naturtheater Premiere. Das von Susanne Heydenreich inszenierte Mantel- und Degenstück glänzte mit beeindruckenden Fechtszenen und opulenten Kostümen.
Wir schreiben das Jahr 1626. Der junge D‘Artagnan (Samuel Schickler) macht sich nach Paris auf, um sich im Kampf um die gerechte Sache den königlichen Musketieren anzuschließen. Athos (Sascha Diener), Porthos (Jan Bayer) und Aramis (Timon Streicher) schließen nach anfänglichen Hahnenkämpfen mit dem hitzigen Bürschlein aus Gascogne, einer Provinz im Süden Frankreichs, Freundschaft und schlagen sich in der Folge mit den Gardisten des einflussreichen Kardinals Richelieu (Holger Schlosser) herum, um die Ehre ihrer Königin Anna (Manuela Hansow) zu retten. Hinter den Intrigen der grauen Eminenz Richelieu steht die Absicht, die junge Königin zum Opfer zu machen, um so das Ansehen des unerfahrenen Königs Ludwig XIII. (Paul Rahn) zu schwächen. Richelieu will selbst die alleinige Macht in Frankreich übernehmen und die Macht der Kirche festigen.
Gleichzeitig bereitet England einen Krieg gegen das katholische Frankreich vor, um die dort verfolgten Hugenotten zu verteidigen. Doch das tritt angesichts der Machtspielchen und Intrigen, die sich nun entspinnen, zunehmend in den Hintergrund. D‘Artagnan erfährt nämlich durch Zufall von den Machenschaften Richelieus gegen die Königin, bei denen auch die durchtriebene Spionin Lady de Winter (Julia Coolens) eine tragende Rolle spielt.
Denn sie ist es, die Richelieus Auftrag ausführt, zwei der zwölf Diamantspangen, die die Königin ihrem heimlichen Geliebten, dem Herzog von Buckingham (Vito Marzio), als Andenken geschenkt hat, zu stehlen. Dem angehenden Musketier d‘Artagnan und seinen Freunden gelingt es zwar, Richelieus Pläne durch einen Trick zu vereiteln und Lady de Winters Hinrichtung zu veranlassen, doch vorher vergiftet die skrupellose Egoistin noch aus Rache D‘Artagnans Geliebte Constance (Carolin Lamparter).
Das ist in aller Kürze die opulente Handlung von Susanne Heydenreichs Bühnenfassung, die sich ziemlich nah an der Romanerzählung von Dumas' orientiert. Turbulent geht es in dem Drama um Liebe, Ehre, Ränkespiele und Gerechtigkeit zu, und dementsprechend sind die Hauptdarsteller ständig in Bewegung. Die Handlung enthält Elemente eines spannenden Politdramas, aber auch eines Liebes- und Abenteuerromans.
Verzwickte Handlung
Als roter Faden und gelungener Kniff führt Athos durch die Geschichte, indem er wiederholt aus seiner Rolle als Musketier heraustritt und den Zuschauern Hintergrundwissen über das Stück erzählt. Das ist auch erforderlich, denn angesichts von zahlreichen blutigen Gefechten, Korruption, Intrigen und verzwickten Liebesverwicklungen verliert zumindest der unkundige Zuschauer leicht den Überblick.
Aufwendig ist auch das Kulissenbild gestaltet: Eine Drehbühne findet Verwendung, hinter der der Käsehändler Bonacieux (Hartmut Pohnke) und seine Ehefrau Constance ihr Zuhause haben. Auf der anderen Seite der Bühne sind die königlichen und Richelieus Gemächer untergebracht, und in der Mitte spinnt die bösartige Lady de Winter mit dem Gebaren eines Engels ihre Intrigen. Insgesamt 30 Darsteller spielen auf der Freilichtbühne, und hinter den Kulissen sind ebenfalls zahlreiche Helfer aktiv.
Die Musik kommt vom Band und wurde eigens für dieses Stück von dem jungen Komponisten Mikael Bagratuni geschrieben. Für die detailgetreuen Kostüme zeichnet Sibylle Schulze verantwortlich, für das Bühnenbild Maja Rumswinkel.
Der vom Greenhorn zum Held mutierende D‘Artagnan, die Teufelin Lady de Winter und vor allem der – gar nicht schweigsame – Sascha Diener in seiner Doppelrolle als Athos und kundiger Erzähler überzeugen durch eine differenzierte Figurencharakterisierung. Beeindruckend auch die von Stefan Müller-Doriat einstudierten Fechtszenen und die zum Teil amüsanten Wortgefechte zwischen den Musketieren.
Verzicht auf Modernismen
Dramaturgisch ungenutzt bleibt dagegen der gesellschaftliche Zündstoff, den Dumas' Schauspiel durchaus zu bieten hätte, wenn auch wohl nur aus einer gewissen Distanz betrachtet. Nein, Zeitgeist-Opportunismus kann man dieser Inszenierung keineswegs zum Vorwurf machen. Regisseurin Susanne Heydenreich konzentriert sich ganz auf die Erzählung des Romans und vermeidet jegliche Modernismen.
So bleibt es bei einem, vor allem im zweiten Teil, rasanten und unterhaltsamen Schaustück fürs Auge und fürs Herz. Dafür gab es am Ende langanhaltenden Beifall.