13.06.2012 - Reutlinger Nachrichten
Der blutsaugende Graf treibt bald sein Unwesen im Wasenwald: Susanne Heydenreich inszeniert "Dracula" für das Naturtheater. Am 23. Juni ist Premiere. Am 29. Juni folgt das Kinderstück "Pippi Langstrumpf".
Steter Hunger nach Blut
Zu sehen gibt es einiges beim neuen Naturtheater-Stück. Zu hören noch viel mehr: verzweifelte Schreie, Wolfsgeheul und Fledermaus-Geflatter. Gruseliges Windrauschen, raunende Stimmen und das Schlürfen von frisch gezapften Blut. Regisseurin Susanne Heydenreich hat sich für die Wasenwaldfestspiele an ein Thema gewagt, das die Menschheit nicht erst seit Bram Stokers 1897 erschienenen Vampir-Roman fasziniert.
Sie versucht mit ihrer Inszenierung, der Geschichte über den blutsaugenden Grafen Dracula neues, schaurig-gruseliges Leben einzuhauchen. Aber in ihrer Fassung geht es nicht nur um den jungen Anwalt Jonathan Harker, der zur Spielfigur des grausamen Grafen wird. Es geht nicht nur um die erotische Anziehungskraft, die Dracula auf Jonathans Verlobte Mina Murray und andere Frauen ausübt, und auch Van Helsings Kampf gegen den übermächtigen Fürsten der Finsternis ist nur ein Teil der Geschichte.
Die Regisseurin hat klare Vorstellungen, wie sie den blutsaugenden Romanhelden auf die Bühne bringen will: "Ich versuche, mit Bildern zu arbeiten und eine düstere Atmosphäre zu kreieren", sagt sie. "Ich möchte die Brutalität dieses Wesens zeigen, ohne ihn allzu klischeehaft als Monster zu zeichnen." Es geht ihr auch um die (menschlichen) Abgründe, "um die Ausübung von Gewalt, um Unterdrückung im Kampf der Geschlechter und um die Ängste einer Gesellschaft, die dem Wandel der Zeit unterliegt".
Dafür hat sich Heydenreich an der Vorlage von Stokers Dokumentation von Briefen und Telegrammen orientiert, aber auch an Francis Ford Coppolas 1992 gedrehten Kinofilm über den blutrünstigen Grafen aus den Karpaten. Der Vorlage des Originals gerecht zu werden und gleichzeitig eine möglichst adäquate und glaubhafte Geschichte zu erzählen: Darin sieht Susanne Heydenreich, die das Stück seit Anfang Januar mit 26 Laiendarstellern zwischen 15 und 76 Jahren einstudiert hat, eine große Herausforderung und Herzensangelegenheit.
Vor allem in Bezug auf die ausgeklügelte Lichttechnik und die aufwendigen Kostüme mussten einige Hürden überwunden werden, "da wir dem Original möglichst nahe kommen wollten" berichtet Trude Heck, die seit über 50 Jahren für das Nähen der Kostüme zuständig ist. Seit rund acht Wochen ist sie intensiv damit beschäftigt und hat insgesamt rund 800 Arbeitsstunden investiert. Viel Arbeit erfordert auch die unterschiedliche Darstellung der beiden Bühnenbilder für das Erwachsenen- und Kinderstück mittels einer Drehbühne. Jolanta Slowik und Eugen Kraus zeichnen hierfür verantwortlich.
Die Premiere der zweiten Naturtheater-Produktion - das von Ambrogio Vinella inszenierte Kinderstück "Pippi Langstrumpf" wird am 29. Juni um 20 Uhr an selber Stelle stattfinden. Für die Einstudierung des Astrid-Lindgren-Stücks wurden 80 Probentage angesetzt. Mit dabei sind ein echtes Pferd, gestellt von der Bruderhaus-Diakonie und insgesamt 31 Darstellern zwischen acht und 54 Jahren. Der musikalische Leiter Alexander Reuter hat neun Stücke selbst komponiert, die solo und im Chor gesungen werden: "Es sind viele Kinder dabei, die das erste Mal auf einer Bühne stehen und singen", berichtet der musikalische Leiter, der sich wie die Kinder auf die 14 Aufführungen freut, die zum Teil bereits ausverkauft sind.
Auch das traditionelle Sonderprogramm wird es wieder geben: Es startet am Samstag, 16. Juni, mit dem Auftritt des Schlagersängers Matthias Reim. Am 1. Juli gibt es ein großes Familienfest, und am 6. Juli zeigt das LTT-Kinder- und Jugendtheater ihre Produktion "Artus" als Gastspiel. Am 19. Juli folgen die SWR-3-Live-Lyrix und tags darauf eine Oldienacht mit den Gruppen Harpo und Sailor. Bereits zum siebten Mal steigt am 27. Juli die Musical-Night, und am 18. August um 23.30 Uhr gibt es eine Mitternachts-Vorstellung von "Dracula".
Viel Arbeit wartet also auf die insgesamt 110 aktiv Beteiligten des Reutlinger Amateurtheaters, das nächstes Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert. Der Vorsitzende Rainer Kurze hofft wieder auf eine große Zuschauerresonanz, "wenn auch das Rekordergebnis von 28 500 Besucher vom letzten Jahr schwer zu toppen sein wird".