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02.07.2012 - Reutlinger Nachrichten

"Pippi Langstrumpf" im Naturtheater Reutlingen (NTR) - Flott inszeniert von Ambrogio Vinella


Sie stellt die Welt auf den Kopf

Im Wasenwald steht jetzt die Villa Kunterbunt. Dort treibt Astrid Lindgrens Piratentochter "Pippi Langstrumpf" ihren Schabernack, flott inszeniert von Regisseur Ambrogio Vinella. Am Freitagabend war Premiere.

 

KATHRIN KIPP

 

Sie ist das bekannteste, lustigste, stärkste, unabhängigste, schlagfertigste und reichste Mädchen der Welt: Pippi, die Königin der Außenseiter, die Ikone aller Rebellen, Utopisten, Anarchisten und Punks, der Schrecken aller Supernannys. Sie macht, was sie will, stellt die Welt und die Logik auf den Kopf und mischt spießige Kaffeekränzchen auf.

 

Pippi ist der rothaarige Traum aller Kinder und frechgebliebenen Alten. Sie steht für all das, was wir alle manchmal gerne sein wollten. Die Rotzgöre flüchtet vor der Polizei, veräppelt Ganoven, führt die Fräuleins vom Waisenclub an der Nase herum, hilft den Benachteiligten und lässt sich von niemandem vereinnahmen.

 

Wo sie ist, ist was los. Und wenn ihr einer ganz dumm kommt, dann schleudert sie ihn einfach durch die Luft. Sie führt die idiotische Erwachsenenwelt vor und erzählt kunterbunte, aber unterhaltsame Lügengeschichten. Und sie hat Freunde, Haustiere und jede Menge Spaß. Aber manchmal ist sie auch ein wenig traurig, weil ihre Mutter im Himmel und der Piratenvater verschollen sind.

 

Aber auch im Reutlinger Naturtheater taucht irgendwann der Papa auf, wirbelt seine Pippi durch die Luft und singt mit seiner Piratentruppe ein Ständchen. Und so hat Regisseur Ambrogio Vinella das Märchen flott inszeniert, mit vielen Massenszenen, Gesang, Spannung und Slapstick auf mehreren Ebenen zwischen Villa Kunterbunt, Schule, Jahrmarkt und Dorfstraße (Bühne: Jolanta Slowik).

 

Und mit einem echten Pferd, das kurz mal über die Bühne traben darf. Herr Nilsson, das Äffchen, trägt dagegen eher menschliche Züge (Clara Göhner). Sophia Seitz spielt eine sehr quirlige, aufgeweckte und dominante Zappel-Pippi, die ständig irgendwo herumwuselt, ihren Unfug treibt, die Arme dabei rausstreckt und jede noch so brave Veranstaltung sprengt.

 

Die artigen Nachbarskinder Thomas (Marco Honisch) und Annika (Jenny Glaunsinger) sind sofort begeistert von der souveränen Sichalleinerziehenden. Endlich was los im Dorf. Und so erleben sie viele Abenteuer: Auf dem Jahrmarkt besiegt Pippi den starken Adolf. Beim Kaffeekränzchen schlägt sie die feinen Damen mit der Sahnetorte in die Flucht. In der Schule wirft sie alle Regeln durcheinander, tanzt auf den Tischen, bringt die Lehrerin (Carina Weber) zur Verzweiflung.

 

Soviel Frechheit ruft auch die örtlichen Ordnungshüter auf den Plan: Kling (Pascal Muckenfuß) und Klang (Oliver Kahlert) sind dümmer als die Polizei erlaubt und liefern sich mit Pippi wilde Verfolgungsjagden. Dabei lassen sie sich viel zu leicht austricksen und holen sich so manche Blessur.

 

So ein ungezähmtes Mädchen provoziert auch das örtliche Moralkomitee, und zwar in Person von Fräulein Prysselius: Manuela Hansow spielt sie entsprechend streng, oberlehrerinnenhaft und überkandidelt, aber eigentlich wünscht sich Fräulein Prysselius nur ein eigenes Kind, das sie hegen und pflegen und ordentlich erziehen kann. Doch da ist sie bei Pippi an der falschen Adresse, die Titelheldin wird mit dem Fräulein genau so leicht fertig wie mit den beiden Ganoven (Dietrich Stoll, Sinan Liebert), die es auf ihren Geldkoffer abgesehen haben. Aber Pippi hat schon längst alle durchschaut. Und so bleibt sie weiter optimistisch und sieht in allen Menschen nur das Gute. Das wird schließlich dadurch belohnt, dass der ersehnte Papa tatsächlich irgendwann auftaucht: Hartmut Pohnke mit rotem Haar und dickem Bauch - "Fett schwimmt oben".

 

Er hat eine sangesfreudige Mannschaft dabei. Und ein Riesenschiff, das auch immer oben schwimmt, zumindest im Naturtheater, wo es auf dem oberen Balkon herumkreuzt. Alexander Reuter hat wieder die Songs geschrieben und einstudiert, die vor allem im Chor sehr kraftvoll gesungen werden.

 

Und am Ende gibts den berühmten Pippi-Langstrumpf-Hit, zur Feier des Tages, als Pippi sich dazu entschließt, doch nicht mit Papa auf Weltreise zu gehen, sondern "zuhause" zu bleiben bei ihren Freunden Tommi und Annika. Da steht sie schließlich auch die ganze Zeit im Mittelpunkt.

 

Und eigentlich kann ja auch gar nichts passieren, man muss ja nur stark sein und sich wehren können. Astrid Lindgren selbst meinte, mit Pippi Langstrumpf wollte sie ihren jungen Lesern zeigen, "dass man Macht haben kann, ohne sie zu missbrauchen, denn von allen Kunststücken im Leben ist dies deutlich das allerschwerste". Und so bleibt "Pippi Langstrumpf" vielleicht doch nur ein Märchen.




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