18.06.2012 - Reutlinger General-Anzeiger
Konzert - Schlagerbarde Matthias Reim rockt das Reutlinger Naturtheater vor rund 450 begeisterten Fans
Große Gefühle in starken Dosen
Vom »Verdammt-ich-lieb-dich«-Chartstürmer in die Schuldenfalle und über ein verkürztes Insolvenzverfahren zurück zum Schlagerbarden: Matthias Reim vereinigt in seiner gut 20-jährigen Karriere viele Hochs und Tiefs. Bei seinem gut zweistündigen Auftritt im Naturtheater zeigt der blondierte Sänger aus dem hessischen Korbach, dass er mehr als dieses verdammt harmlose Liedchen drauf hat.
Der Mann hat einen sechsten Sinn für einfache Melodien. Alles, was eingängig ist, was zum Mitsingen oder Feiern taugt, verwurstet Matthias Reim in seine deutschsprachigen Ohrwürmer. Sobald der unlängst von Mallorca an den Bodensee übergesiedelte Sänger die Bühne betritt, stürmen die Fans auch schon nach vorne und verfallen geradezu in einen Zustand kollektiver Verzückung.
Da wird zu Titeln wie »Deine Liebe«, »Doch da war mehr«, »Ich will dich immer noch« oder Maffays »Über sieben Brücken musst du geh'n« getanzt und lauthals mitgesungen. Und wenn Reim Balladen wie »Im Himmel geht es weiter« anstimmt, liegen sich verliebte Pärchen glücklich in den Armen. Matthias Reim gibt sich unverdrossen auf die Achterbahnfahrt der Gefühle und schafft es, alten und neuen Stücken Wahrhaftigkeit zu verleihen: Er zeigt ein intuitives Gespür für Stimmung und Charakter der zwischen Schlager und seichtem Pop lavierenden Songs. Jede Zeile, jedes Wort wird zu seinem eigenen Drama, wird gezogen, moduliert, geschmettert und zuweilen auch richtig gerockt. Jede Geste, jeder Blick suggeriert: Ich hab' meine Lektion gelernt, jetzt lasst uns das Leben genießen. Überhaupt hat der Frontmann ohne Allüren einen fast kathartischen Effekt. Denn er zeigt den Menschen, wie es geht, sich am eigenen Schopf aus der Misere zu ziehen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Der 54-jährige Sänger bleibt die ehrliche Haut von nebenan, der mit Whiskey-angerauter Stimme sein Fühlen und Sprechen unmittelbar in seine Lieder übersetzt, der die Mädels im Publikum mit bauchpinselnden Sprüchen bezirzt und die Wünsche einer leicht gealterten Rock 'n' Roll-Generation bedient.
Da er zudem vier solide Backgroundsänger und fünf hervorragende Musiker an seiner Seite hat und sich auch in puncto Ausdauer nicht lumpen lässt, pendelt sich die Begeisterung im Naturtheater auf einem hohen Level ein. Als dann zur dritten Zugabe auch noch seine Hymne »Verdammt ich lieb' dich« erklingt, gleicht das idyllisch gelegene Naturtheater einer ausufernden Ballermann-Party.
Alles in allem also ein echtes Reutlinger Konzerthighlight. Denn Matthias Reim hat nach überstandener Pleite und künstlerischer Durststrecke begriffen, worum es bei Popkonzerten geht: nämlich darum, den Leuten zu geben, was sie wollen - und sei es auch nur mit ziemlich schlichten und textlich sehr ähnlich klingenden Popsongs und heiß aufgebrühten Schlager-Oldies. (jüsp)