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23.08.2010 - Reutlinger Nachrichten

Spektakel zur Geisterstunde

Beim fünften Mitternachts-Special gings im Reutlinger Wasenwald wieder heiß her. Vor ausverkauftem Haus präsentierte das aufgedrehte Ensemble eine schrille NDW-Horror-Picture-Show: "Hochzeit in Schwarz".


Wehe, wenn sie losgelassen: Das Naturtheater hat für sein jährlich einmaliges Geisterstunden-Spektakel wieder einmal alles aufgefahren, was irgendwie knallt, zischt, leuchtet oder zappelt. "Völlig losgehelöst" von sämtlichen theatertaktischen Fesseln dreht das Mitternachts-Ensemble einfach die Anlage auf und frönt mit einer völlig durchgedrehten Achtziger-Show, schrillen Kostümen, wilden Robotnikmoves, psychedelischen Lichteffekten und Filmchen, jeder Menge Trash, einem kleinen Kettensägenmassaker, viel Feuerwerk und längst schon überwunden geglaubter Musik der guten alten Neuen Deutschen Welle.

 

Eine Hommage an die Zeiten, als die Hierzulande-Musik noch fröhlich sinnfrei, naturbelassen elektronisch und unschuldig minimalistisch daherkam und vor allem noch keinesfalls mit gentechnisch manipulierter Pseudopoesie aufgequarkt wurde. Ungefähr genauso sinnfrei, dafür nicht minder durchgequarkt kommt der Wahnsinn daher, den Wasenwald-Tausendsassa Sascha Diener dieses Mal wieder ausgeheckt hat.

 

Dafür hat er unzählige NDW-Heuler umformatiert, zu einem irren Musical zusammengebastelt und mit dem bei der Aufführung völlig enthemmten Ensemble in sechseinhalb Wochen auf die Bühne gestemmt. Bei der "Hochzeit in Schwarz" dürfen alle mittanzen: Und so schweben auf der kathedralen Kulisse nicht nur vier betörende Tanzengelchen herum, sondern sogar der liebe Gott persönlich, ders als noch nicht ganz ausgewachsener Welt-Show-Master (Marc Weinnmann) gerne mal richtig krachen lässt und, wenn Not an Glamour herrscht, ab und an auch selbst zur Klampfe greift. Offenbar war Gott in den Achzigern noch kein DJ, sondern ein schneidiger New-Wave-Rocker, der zu der legendären Skandalmusik der Spider Murphy Gang die "Hochzeit von Rosi" einläutet.

 

Besagte Rosi (Carina Weber) und ihr Rolf (Johannes Blattner) legen dabei nicht nur den Hochzeitstanz aufs Parkett, sondern neigen auch zu bizarren Scherzen. Als sich nämlich die liebe Verwandtschaft ihrer Hochzeit verweigert, laden Rosi und Rolf kurzerhand zur eigenen Beerdigung. Der Trick funktioniert, und kaum singt der Pfarrer (Sascha Diener) den Abgesang, versammelt sich auch schon eine illustre Festgemeinde.

 

Als das Brautpaar seine plötzliche Wiederauferstehung feiert, rauscht auch schon Brautmutter Brigitte (Julia Coolens) an - umflort von einer Aura der Blutrünstigkeit. Ihr lastet man nämlich die horriblen Vorkommnisse der Familiengeschichte an, bei denen die angeheirateten Männer nicht nur im magic leuchtenden "Tretboot in Seenot" gerieten, sondern alle auf mysteriöse Weise ums Leben kamen.

 

Was von ihnen übrig blieb? Allein der "Knutschfleck, mach mir keinen Knutschfleck". Und so kommt es auf der Bühne zu wilden Schießereien, eigenwilligen Hit-Interpretationen (Gesangs-Coach: Alexander Reuter), roboterhaften Gebärden (Choreos: Carmen Lamparter) und "völlig losgelösten" spacy Zeremonien. Der Brautvater (Andreas Pedretti) findet: "Sie ist so hässlich, sie ist der Hass", während Brigitte ihre Unschuld beteuert: "Und ich düse düse düse düse im Sauseschritt und bring Beweise mit."

 

Bis sich aus dem Brautstrauß ein Schuss löst und sich die Beweisführung auf andere Art erledigt. Denn in den von der Braut inszenierten Rückblenden zeigt sich: Schon die waffenscheinpflichtigen Achtziger-Killer-Schulterpolster-Jacken von Brigitte haben wahrscheinlich so manchen Schwiegersohn schon rein ästhetisch hinweggerafft (Kostüme: Trude Heck).

 

Und so werden die Lover abwechselnd in der Dusche elektrisiert, von Killerbienen angegriffen, vergiftet oder in die Luft gesprengt, während zwei echte Kommissar-Leuchten "Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann" ermitteln und sich die verzweifelten Hinterbliebenen in triefende Balladen "Rette mich" flüchten.

 

Pascal Muckenfuß sächselt sich derweil als Postbotin Merkel durch die Szenerie, mit der Wahrheit im Paket, das aber keiner annehmen will. Als weiteren Running Gag hat man Kassenwart Tilmann Scheck auf die Bühne geschickt: eine echte NTR-Neuentdeckung, die als Müsli-Man im Körper beziehungsweise in der Frisur von Jimi Hendrix allzeit den verdauungsfördernden Aspekt seines lecker lecker Seitenbacher Müslis anpreist.




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