21.07.2010 - Reutlinger Nachrichten
Mehr Zuschauer als je zuvor, besseres Wetter als je zuvor: Dass die "Musical Night" im Naturtheater keinen kalt lässt, ist aber nicht Petrus, sondern der bestens aufgelegten "Set Musical Company" zu verdanken.
Sahnig, dunkel, zartbitter: Schokolade fürs Gehör
Von Lara Diel
Musical-Night im Naturtheater? In den vergangenen Jahren stets ein Zusammentreffen in Wolldecken und Regenmäntel gehüllter Menschen mit tropfenden Künstlern, die tapfer gegen eisige Kälte ansangen. Nun scheint Petrus doch noch ein Fan der "Set Musical Company" geworden zu sein, und das hat sich die gut gelaunte Truppe genauso redlich verdient wie die 700 Zuschauer, die das Naturtheater bevölkern - so viele wie noch nie zuvor in den vergangenen Jahren.
Für die hat sich der freitagabendliche Ausflug in den Wasenwald gelohnt: Für sie gibts nicht nur einen ausgiebigen Streifzug durch mehr als acht Jahrzehnte Musical-Geschichte, sondern auch, für Tourneeproduktionen eher ungewöhnlich, handgemachte Musik von einer sechsköpfigen Band, sowie jede Menge Zusatzinformationen rund um die Singspiele dieser Welt.
Dafür, dass die Naturtheater-Besucher demnächst souverän mitreden können, wenns um die nächste Premiere in einem der deutschen Musical-Paläste geht, sorgt Axel Törber, Moderator, Schlagzeuger und musikalischer Leiter der "Axel-Törber-Band".
Einer der Solisten: Simon Tunkin aus London. Gelernter Opernsänger, langjähriges "Phantom der Oper" in London und in Hamburg. Letzteres zaubert er erwartungsgemäß so souverän auf die Naturtheater-Bühne, dass schreckhaftere Zuschauer am Ende hinter jedem Wasenwald-Baum ein weiteres Phantom entdecken. Tunkins Version des Chef-Blutsaugers Graf von Krolock aus "Tanz der Vampire" kommt wie nach einer belebenden Bluttransfusion daher - mit Hilfe der Band hübsch angerockt, gitarrenlastig und ganz ohne Vampir-Walle-Umhang. Schokolade zum Hören ist aber der Tunkinsche "Ol Man River" - eine sahnige, dunkle, zartbittere und authentische Interpretation der Hymne der Sklaven aus dem Mississippi-Dampfer-Musical "Showboat", die das Publikum mit frenetischem Beifall belohnt.
Umso bemerkenswerter, als "Showboat" aus dem Jahr 1927 der Methusalem unter den Musicals im Gepäck der "Set Musical Company" ist. Frisch aufgearbeitet, macht es genauso viel her wie der aktuellste Titel - "Hinterm Horizont", der Titel-Song aus dem Udo-Lindenberg-Musical, wird erst im kommenden Jahr in Berlin uraufgeführt, der Appetithappen im Naturtheater kommt schon mal ganz gut an.
Nicht so richtig gut angekommen ist beim Berliner Publikum die Musical-Version des Bully-Herbig-Kinohits "Der Schuh des Manitu" - was beim Reutlinger Publikum nach der Kostprobe verständnisloses Kopfschütteln auslöst. Die "Schoschonen" sind zum Brüllen komisch, und bei "Wieder mal am Marterpfahl" schmeißen sich die Naturtheater-Besucher dann vollends weg.
Eine Stärke der Truppe, die regelmäßig auf dem Kreuzfahrtschiff "MS Europa" gastiert, ist es, große Ensemble-Nummern mit eindrucksvollen Soli zu einem harmonischen Ganzen zu verweben - und bei Ersteren obendrein auch noch den Eindruck zu vermitteln, als wirbelten weit mehr als sechs Männlein und Weiblein über die Bühne. Das bewährt sich bei Auszügen aus "Mamma mia", "We will rock you" oder "Sister Act", die in so einem Programm einfach drin sein müssen, wenn Eintrittskarten an den Mann gebracht werden sollen, tut aber der Fähigkeit jedes einzelnen Künstlers, nur mit seiner Stimme ein komplettes gut gefülltes Theater in den Bann zu ziehen, keinen Abbruch. Das beweist etwa Tracy Plester aus Michigan mit ihrem umwerfenden deutsch-englischen"Cabaret", das noch den letzten Wasenwald-Spatz aus dem Baum fegt, oder mit ihrer Evita Peron, die eigens auf die "Glöckner"-Kulisse klettert, um huldvoll von ihrem Volk Abschied zu nehmen - "weine nicht um mich, Argentinien" lässt hie und da durchaus das eine oder andere Tränlein aufblitzen.
Die gute Laune bleibt dennoch bis zum Schluss erhalten - und dass es zum opulenten Final-Medley blitzt und donnert, rundet einen gelungenen Abend effektvoll ab.