August 2010 - www.mut-magazin.com
Mitternachts-Special 2010 des Naturtheaters Reutlingen
Hochzeit in "Schwarz"
"Das ist nichts, ganz easy." - Mit diesen motivierenden Worten übergab Autor und Regisseur Sascha Diener seinen Darstellern das Textbuch für das diesjährige Mitternachts-Special, genau 7 Wochen vor der Aufführung. Dass aus dem "Nichts" schweißtreibende Arbeit für alle Beteiligten wurde, davon konnten sich die Zuschauer bei der ausverkauften Vorstellung am 21.08.2010 überzeugen.
Das Naturtheater Reutlingen ist ein Amateurtheater, doch davon war nichts zu hören und sehen. Höchst professionell wurde die Geschichte um eine Hochzeit schauspielerisch und gesanglich umgesetzt - wenn man bedenkt, dass alle Beteiligten diese Meisterleistung neben Schule, Studium oder Berufsleben stemmen!
Die Geschichte erzählt von dem Brautpaar Rosemarie (Carina Weber) und Rolf (Johannes Blattner), die auf Ihre Hochzeitseinladung von der gesamten Familie nur Absagen bekommt. Alle haben an diesem Abend etwas besseres vor: sie wollen alle zum Mitternachts-Special im Naturtheater Reutlingen. Das Brautpaar inszeniert daraufhin seinen eigenen Selbstmord und lädt wiederum die komplette Familie zur Trauerfeier ein, Ort und Zeit siehe Hochzeitseinladung. In tiefer Trauer und mit großer Bestürzung findet sich die Familie vollzählig in der Kirche ein, um dem Paar die letzte Ehre zu erweisen. Um so größer ist die Überraschung, als das Paar plötzlich wohlbehalten und sehr lebendig die Kirche betritt. Der in alles eingeweihte Pfarrer (Sascha Diener) beendet die Trauerfeier um nahtlos zur Trauung überzugehen.
Die Zeremonie wird allerdings durch Rosemaries Mutter Brigitte (Julia Coolens) gestört, die, soeben wieder auf freiem Fuß, in die Kirche stürmt und sich eindeutig gegen die Vermählung ausspricht. Ihr Mann (Andreas Pedretti), die Braut und deren Schwestern sind über das Auftauchen der Frau und Mutter alles andere als erfreut, doch Rosemarie hat vorsorglich eine Waffe unter ihrem Brautstrauß versteckt und schießt auf die ungeliebte Mutter. Nachdem alle Gäste panisch die Kirche verlassen haben und die Mutter von Sanitätern abtransportiert worden war, erklärt Rosemarie ihrem zukünftigen Rolf, wie es zu dieser Szene kommen konnte. Sie erzählt, dass die Mutter schon lange hinter allen Männern, die sich ihren Töchtern nähern, her ist und alles Liebesglück zerstört hat. Schon in jungen Jahren (Jenny Glaunsinger als junge Rosemarie) hat sie Rosemaries Jugendfreund Peter (Marco Honisch) in eine Falle gelockt und das Versteck explodieren lassen.
Den Verlobten Hubert (Vito Marcio) ihrer Tochter Sabine (Melanie Hageloch) hat sie beim ersten Essen vergiftet. Udo (Maximilian Knoll), den Zukünftigen ihrer Tochter Nena (Manuela Hansow), ereilte der Tod unter der Dusche durch einen von oben abgeseilten Fön. Und vom Freund Markus (Denis Blank) ihrer Tochter Ixxi (Frauke Rausenberger) wusste sie, dass er eine Honig-Allergie hat und Wasser verabscheut. Er starb, als er mit einem Bienenkorb auf dem Kopf in einen Brunnen fiel. Und damit die Mutter nicht auch noch ihr Glück zerstöre, musste sie so handeln und die Mutter aus dem Weg schaffen.
Die Morde wurden von Kommissarin Lindenberg (Angela Sauter) und deren Assistentin Menke (Sophia Seitz) untersucht, doch wurden alle erst mal als Unfälle zu den abgeschlossenen Fällen gelegt. Erst der letzte Mord ließ die Beamtinnen stutzig werden und nach und nach kam heraus, dass nur Mutter Brigitte hinter all den Morden stecken konnte. Daher verbüßte sie auch eine lange Gefängnisstrafe.
Durch den Schuss aus Rosemaries Waffe verstarb die Mutter noch während Rosemarie die ganze Geschichte Rolf erzählt und so beschlossen Pfarrer und Hochzeitsgäste, erst die Mutter zu begraben um anschließend endlich Hochzeit feiern zu können. So wurde es auch gemacht, Rosemarie und Rolf waren endlich Mann und Frau. Wer hätte nach diesem Happy End gedacht, dass der Bräutigam jedoch die Hochzeitsnacht gefesselt auf einem Stuhl verbringt, die Braut aus ihrer Tasche Motorsäge, Beil, Sense und Schraubstock hervorzaubert und endlich mit der Wahrheit herauskommt, dass sie alle Männer hasst... Und endlich sind auch die beiden Polizei-Beamtinnen auf der richtigen Fährte – kommen nur leider zu spät...
Immer wieder präsent und für die Zuschauer höchst amüsant ist Briefträger(in) Karle, die Reinkarnation Angela Merkels (Pascal Muckenfuß), die nicht nur die Absagen der Hochzeitsgäste sondern auch die Einladung zur Trauerfeier überbringt, aber auch im Verlauf der Geschichte regelmäßig mit Paketen und Post auf ihrem Fahrrad von allen Seiten auftaucht. Ebenso der Seitenbacher (Tilmann Scheck), der jeden von seinem bekömmlichen, gut verdaulichen und lange haltbaren Müsli und Riegeln überzeugen möchte.
Aber auch Gott (Marc Weinmann) und seine Engel (Carina Armbruster, Carmen Lamparter, Carolin Olbricht und Ana Zivkovic) sind allgegenwärtig und schauen dem Treiben von oben zu.
Das gesamte Stück wird durch zur jeweiligen Situation passenden Liedern der "Neuen Deutschen Welle" der 80er untermalt. Auch wenn die Musik vom Band kommt, der Gesang ist live und die Texte sind teilweise neu und entsprechend angepasst. Dazu zählen Titel wie "Hohe Berge", "Leuchtturm", "Major Tom", "Knutschfleck", "Codo", "Männer" usw.
Unterstützt wurde das Ensemble bei der Einstudierung von Alexander Reuter.
Professionelle Ensemble- und Tanzszenen runden die Lieder ab (Choreografie: Carmen Lamparter). Auch Kostüme (Trude Heck) und Maske (Ute Raiser, Petra Glaunsinger) wirkten keineswegs laienhaft, genauso wurde nicht an zweckmäßigen Requisiten, Bühnenbild und Effekten gespart (Pyrotechnik: Thomas Diener).
"Hochzeit in Schwarz" war wieder ein Highlight der diesjährigen Freilichtspiel-Saison des Naturtheaters Reutlingen. Seit 5 Jahren ist das Mitternachts-Special fester Programm-Punkt der Saison, und jedes Jahr lässt sich Sascha Diener wieder eine neue, verrückte Geschichte einfallen – ein Spektakel mit Kultcharakter. Es ist wirklich schade, dass so ein aufwändig inszeniertes Stück nur einmal zur Aufführung kommt. Auf jeden Fall ist die Vorfreude auf die nächste Saison und das nächste Special schon jetzt geweckt.
Bericht: Sabine Böhm