03.07.2006 - Schwäbisches Tagblatt, Tübingen
Hieb- und stichhaltig: Mit Shakespeares "Romeo und Julia" übertrifft sich das Naturtheater Reutlingen selbst
Liebesleid und Degenkämpfe
Stehende Ovationen und Bravo-Rufe ... Am Samstagabend war es der Fall. Regisseurin Susanne Heydenreich hat mit ihrem jungen Ensemble die Überraschung hinbekommen und eine stimmige wie atmosphärisch sehr gut auf den Rahmen der Freilichtbühne zugeschnittene Inszenierung ... im Wasenwald entstehen lassen.
Geglückt ist ihr dies, weil sie auf Wirkungen setzt, dem sich die Zuschauer kaum entziehen können. So kommt der Wald, dank des sparsameren Bühnenbilds von Siegfried Albrecht, tatsächlich als unheimlicher Wald zur Geltung ...
Trauerzüge im Kerzenschein und Beleuchtungseffekte korrespondieren mit einem umsichtig ausgewählten Soundtrack. ...
Auch der Einsatz der professionellen Fechttrainerin Annette Bauer hat seine Wirkung nicht verfehlt. In wirklich spektakulären Fechtszenen stirbt Mercutio ... und der zornige Tybalt. ...
Den hat bekanntlich Romeo auf dem Gewissen. Und der wird im Stück von Sascha Diener so jugendlich, so frech, so verliebt und ungestüm verkörpert, dass seine Auftritte immer wieder Szenenapplaus provozierten.
Sehr gut setzt sich sein weiblicher Gegenpart Julia Coolens als Julia in Szene. Das junge Paar wirkt glaubhaft und weckt deshalb Mitgefühl. Aber auch alle anderen Rollen sind überzeugend. ...
Das Publikum wird im Strudel der Gefühle mitgerissen, wenn Amme, Gräfin und Graf Capulet ... um ihre vermeintlich tote Julia weinen und es lacht bei Balkonszenen, die an ihre erste eigene große Liebe erinnern mögen.
Am Schluss, nach genau einer Stunde und 50 Minuten Spielzeit ... hielt es viele im Publikum nicht mehr auf ihren Stühlen, was man verstehen kann. Wenn altbekannte Geschichten so überzeugend erzählt werden, wie es an diesem Abend das Reutlinger Naturtheater vollbrachte, sind sie spannender als manches Viertelfinale.