10.02.2018 - Reutlinger General-Anzeiger
Naturtheater – Freilichtbühne plant millionenschwere Modernisierung im Wasenwald. Alte Bausubstanz wird untersucht
Theaterzentrum in Gänsefüßchen
VON HEIKE KRÜGER
Es tut sich was im Wasenwald. Ehrgeiziges und Kostenintensives. Aber auch absolut Notwendiges. Denn Verwaltungs- und Gaststättengebäude des Naturtheaters sind in die Jahre gekommen.
Vom Zahn der Zeit bös’ angenagt, stehen beide Immobilien nurmehr windschief in der Landschaft. Wobei sich das sogenannte Vereinsheim nebst Büroräumen, Fundus, Schneiderei, Maske und Versammlungs-/Probensaal in einem weitaus übleren Zustand befinden als sein Gegenüber: also jenes Haus, das noch bis vor Kurzem ein Speiselokal – die "Waldesslust" – in seinem Parterre beherbergte.
Dort ist ein Teil des Daches leck, hier hängt eine Decke durch. Manch’ Stützbalken erweist sich als Wackelkandidat und von Dämmung oder Brandschutz möchte der Erste Vorsitzende des Reutlinger Naturtheatervereins, Rainer Kurze, "lieber erst gar nicht reden". Kein Zweifel: Das barracken-ähnliche Gebäudeensemble im Wasenwald bedarf dringend einer umfassenden Sanierung. Oder eines Komplettabrisses. Was aktuell geprüft wird.
"Von Dämmung oder Brandschutz will ich erst gar nicht reden"
Fest steht zwar schon jetzt, dass der Verwaltungs-/Vereinstrakt – weil von Grund auf marode und im Übrigen zu klein dimensioniert – in jedem Falle einem Neubau weichen muss. Ob indes auch die zweite Immobilie fällt, hängt derzeit noch in der Schwebe. Denn momentan wird das Haus von Experten unter die Lupe genommen. Sollten besagte Fachleute zum Ergebnis kommen, dass die altersgeschwächte Bausubstanz keine Generalsanierung mehr rechtfertigt beziehungsweise jedem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis entgegensteht, dann schlüge auch für die einstige Ebenezer-Kapelle das letzte Stündlein.
Sakrale Architektur im Wasenwald? Ja. Allerdings eine vor etlichen Dekaden entwidmete. Und eine solche, die anno 1960 – so wie man das von Freilichtmuseen her kennt – Stein für Stein abgetragen, aus der Innenstadt an die grüne Peripherie Reutlingens transportiert und dortselbst rekonstruiert worden ist, um fortan als Multifunktionsbau mit angeschlossener Gastronomie einen zweiten Frühling zu erleben.
Diesem folgte ein langer, überwiegend schöner Sommer. Doch jetzt ist das geschichtsträchtige Gemäuer im Spätherbst seines Daseins angelangt. "Es befindet sich unseres Erachtens in einem kritischen Zustand", sagt Rainer Kurze, der insgeheim mit Abriss rechnet. "Vorgreifen will ich mit meiner Einschätzung aber niemandem. Wir müssen uns gedulden und zusehen, was die Analyse bringt."
Erwartet werden deren Resultate Mitte des Jahres. Und auf ihrer Grundlage kann der Naturtheaterverein dann auch belastbare Zahlen vorlegen sowie die Höhe der Investitionskosten seriös kalkulieren. Dass das Vorhaben – Kurze spricht von der Konzeption eines "Theaterzentrums in Gänsefüßchen" – ein paar Millionen Euro verschlingen wird, ist indes schon jetzt absehbar.
"Da machen wir uns nichts vor", betont er und sein Vereinskollege und kaufmännischer Geschäftsführer Tilmann Scheck kann dem nur beipflichten. "Das wird eine große sowohl finanzielle als auch logistische und organisatorische Herausforderung."
Der kaufmännische Geschäftsführer Tilmann Scheck (links) und der Vereinsvorsitzende Rainer Kurze vom Naturtheater haben Großes vor: Sie wollen marode Zweckbauten durch moderne Architektur ersetzen und der drangvollen Enge im Gewand Mark 3 auf diese Weise ein baldiges Ende bereiten. Foto: Niethammer
Doch warum Theaterzentrum in Gänsefüßchen? Weil’s inhaltlich zwar zutrifft, aber gar zu pompös klingt. Denn in den Wald klotzen will niemand etwas: am allerwenigsten einen raumgreifenden Musentempel, der in Konkurrenz zur Tonne tritt. Vielmehr schwebt dem vom Naturtheater (NTR) beauftragten Reutlinger Planungsbüro S1 Architekten Beutter/Mast eine Konzeption vor, die Neues innerhalb der Grenzen des Alten erschafft.
"Das Gemäuer befindet sich in einem kritischen Zustand"
Konkret: Sollten tatsächlich beide Gebäude fallen, dann würde an ihren Standorten – und zwar ohne zusätzlichen Flächenverbrauch – moderne Architektur zu stehen kommen, die den Bedürfnissen der Freilichtbühne einerseits, andererseits aber auch denen weiterer kulturell tätiger Amateur-Gruppierungen gerecht wird. All jenen nämlich, die aus Kapazitätsgründen weder in der Tonne noch im franz.K Unterschlupf finden. Gemeint sind beispielsweise Schul-Theater-AGs, denen das NTR-Team professionell ausgestattete Räumlichkeiten zeitlich befristet und gegen ein moderates Entgelt zur Verfügung stellen könnte.
"Wir müssen uns gedulden und zusehen, was die Analyse bringt"
Davon abgesehen bahnt sich im Wasenwald aber auch eine dauerhafte Kooperation an. Die als "D'Moo’Spritzer" bekannte Sondelfinger Laien-Schauspieltruppe ist’s, die Interesse an Proberaum und Aufführungssaal bekundet. Eigentlich wollte der Verein ja im Bereich der Sondelfinger Mörikeschule ein eigenes Bauprojekt stemmen. Dieses Vorhaben erwies sich letztlich aber als gar zu ambitioniert. Trotz monetärer Förderung seitens der Stadt und des Landes entpuppten sich die Pläne als nicht finanzierbar und zerschlugen sich mithin.
Nun also ein zweiter und durchaus aussichtsreicher Anlauf der Moo'Spritzer, um doch noch zu einer fixen Bleibe zu kommen. Hinter den Kulissen wurden diesbezüglich schon fruchtbare Sondierungsgespräche geführt. Im Dialog steht das Naturtheater außerdem mit der Stadtverwaltung und plant in naher Zukunft Vor-Ort-Einzeltermine mit den Gemeinderatsfraktionen zu vereinbaren, um Reutlingens kommunalpolitischen Entscheidungsträgern das Theaterzentrum in Gänsefüßchen schmackhaft zu machen.
Parallel dazu gilt es, Geldquellen zu erschließen: Hier reicht die Spanne von potenziellen Fördertöpfen des Landes über kommunale Zuschüsse und solche des Landkreises bis hin zu Extra-Mitteln des Landesverbands der Amateurtheater. Wobei der 300 Mitglieder starke NTR-Verein natürlich auch selbst in sein "Baby" investieren wird. "Rund eine Million Euro", so Tilmann Scheck und Rainer Kurze, seien eine realistische Hausnummer – so die Bank als Kreditgeberin mitspielt und sich zwecks Tilgung eine "lange Laufzeit", die Rede ist von "rund zwanzig Jahren", vereinbaren lässt.
Unvereinbar für die Freiluftbühne hingegen: der Betrieb eines Speiselokals in den Theatergebäuden selbst. Dafür, meint Kurze, reiche der Platz schlichtweg nicht aus. Und zwar auch dann nicht, wenn beide Immobilien – wie gewünscht und geplant – komplett unterkellert werden. Außerdem "ist die Einrichtung eines gastronomischen Angebots weder Aufgabe noch Zweck eines Theatervereins". Wiewohl Speis’ und Trank grundsätzlich bereichernd seien.
Deshalb haben S1 Architekten hierfür in ihrem vorläufigen Entwurf einen Platzhalter markiert; eine Freifläche, auf der eine Gaststätte hochgezogen werden könnte – freilich nicht vom NTR, sondern von einem anderen Bauherren mit Sinn fürs Kulinarische. (GEA)